Hexenjagd am Sickingen-Gymnasium
Wie verhext schien es mit diesem Stück in der Tat - Unfälle bei Hauptdarstellern, unzählige Terminengpässe und Aufregungen hielten die 24 jungen Schauspieler des SGL in Atem. Das Endergebnis kann sich, nach sieben Monaten Probezeit, umso mehr sehen lassen: Dynamisch, intensiv und ergreifend entführte die Theater AG die Zuschauer in eines der dunkelsten Kapitel amerikanischer Geschichte.Salem, Massachusetts, 1692: Die ganze Stadt ist in Aufruhr. In der streng puritanischen Gemeinde hat man nachts junge Mädchen beim Tanzen im Wald entdeckt, seitdem befinden sich zwei von ihnen in einer mysteriösen Schockstarre, nur unterbrochen von kurzen Episoden des Wachseins, in denen sie, von Wahnvorstellungen getrieben, schreiend versuchen aus dem Fenster zu fliegen.Hat der Teufel bei diesen unheimlichen Vorgängen seine Finger im Spiel, wurden die Mädchen von der schwarzen Sklavin (Esye Aidemir) des Pastors (Max Schubert) verhext?Gibt es etwa noch mehr Hexen in Salem, verborgen hinter einer Fassade christlicher Frömmigkeit? Oder kann das alles gar nur Theater sein, Teil eines grausamen Komplotts der berechnenden 19-jährigen Abigail Williams (Alina Berger), um den aufrichtigen John Proctor (Kai Utzinger) für sich zu gewinnen?Und tatsächlich scheint die Spur in ihre Richtung zu führen:Denn als selbst der eilig herbeigerufene erfahrene Exorzist Pastor Hale (Christian Rosprim) die Mädchen nicht von ihrem Bann befreien kann und man in der Stadt beginnt, wahllos Menschen der Hexerei zu verdächtigen, sieht Abigail ihre Chance gekommen, sich endlich die Ehefrau John Proctors ( Alice Laufer/ Louisa Kuntz) aus dem Weg zu schaffen. Einmal angeklagt, kann man sich nämlich nicht mehr des Verdachtes erwehren, mit dem Antichrist im Bunde zu stehen. Dem Galgen kann man nur durch Ablegen eines Geständnisses und der Denunziation anderer angeblicher Hexen entgehen.Ein regelrechter Wahn bricht aus, die Hexenjagd gerät aus allen Fugen; zahllosen unschuldigen Bürgern wird der Prozess gemacht, mehr als Hundert sterben den Tod am Strick. Arthur Millers packendes Drama, mitreißend inszeniert durch die Theater-AG unter der Leitung von Marita Groß und Thomas Neukirch, wirft ernste Fragen auf:Wer hat Schuld am Tod der vielen Unschuldigen? Abigail? Die Bürger, die Justiz, die Gesellschaft?Wie weit geht der Mensch um sein Leben zu retten; und was hat er gewonnen, wenn er dafür seine Würde verloren hat?Wohin treibt es eine Gesellschaft, wenn erst der feste Glaube an ein bestimmtes Feindbild tief in ihr verankert ist?Miller, der ,,Hexenjagd'' als eine Parabel auf die Kommunistenverfolgung im Amerika der 50er Jahre schrieb, ahnte wohl nicht, wie aktuell sein Stück mit gerade dieser Fragestellung noch heute sein würde. Denn gerade im Zeitalter der allgemeinen Panik vor Terroristen und dem daraus folgenden Kontrollwahn ist es von höchster Wichtigkeit, sich mit dieser brisanten Thematik auseinandersetzen - und wo geht das besser als im Theater? Jutta Kühn, MSS 12